Landkreis, Städte und Gemeinden beschließen gemeinsame Resolution an Land und Bund

Landrätin Anita Schneider (vorn, l.) und Bürgermeister Lars Burkhard Steinz (vorn, r.) als Sprecher der Bürgermeister-Kreisversammlung des Landkreises Gießen sowie Bürgermeisterin und Bürgermeister aller Kreiskommunen und die Mitglieder des hauptamtlichen Kreisausschusses unterzeichneten und bekräftigten die Erklärung des Gießener Landes zur Finanzsituation. (Foto: Landkreis Gießen)

„Erklärung des Gießener Landes“ fordert angemessene Finanzierung für die gesetzlichen Aufgaben

Landkreis Gießen. Der Landkreis Gießen und alle kreisangehörigen Städte und Gemeinden des Landkreises fordern von Bund und Land eine ausreichende Finanzierung der gesetzlich zugewiesenen Aufgaben sowie eine Reform der kommunalen Selbstverwaltung. In einer gemeinsam verfassten Erklärung des Gießener Landes zu ihrer Finanzsituation kritisieren sie die unzureichende Finanzausstattung durch Bund und Land bei einer zugleich wachsenden Zahl gesetzlich übertragener Aufgaben.

Die Mitglieder des hauptamtlichen Kreisausschusses, Oberbürgermeister, Bürgermeisterin und Bürgermeister aller Städte und Gemeinden unterzeichneten gemeinsam die Erklärung und verweisen auf das in der Verfassung verankerte Recht der kommunalen Selbstverwaltung.

Es bleibt kein Spielraum für eigene Gestaltung

„Faktisch wird die Selbstverwaltung jedoch durch eine immer größere Regelungsdichte in Form bürokratischer Vorgaben von Bund und Land und eine unzureichende Finanzierung der übertragenen Aufgaben immer weiter ausgehöhlt“, sagte Landrätin Anita Schneider, die zugleich auch Präsidentin des Hessischen Landkreistages ist. „Nahezu 98 Prozent aller kommunalen Aufgaben sind mittlerweile Pflichtleistungen. Für eigene Gestaltung bleibt kaum Spielraum.“ Zugleich führten diese Pflichtaufgaben zu erheblichen Defiziten in den kommunalen Haushalten. Während das Land Hessen einen Rekord im Kommunalen Finanzausgleich mit einem Anstieg um mehr als sieben Milliarden Euro verkünde, gebe es für die Kreise und Kommunen vier Millionen Euro weniger als erwartet.

Nahezu alle hessischen Landkreise weisen defizitäre Haushalte vor. Da die Landkreise über keine nennenswerten eigenen Steuereinnahmen verfügen, seien sie rechtlich gezwungen, die Kreis- und Schulumlagen als einzigen gestaltbaren Einnahme-Faktor anzuheben, um den Haushaltsausgleich zu erreichen. Es sei allerdings eine Grenze erreicht, wenn kreisangehörige Kommunen dauerhaft und strukturell nicht mehr in der Lage seien, ihr Recht auf eine eigenverantwortliche Erfüllung von Aufgaben wahrzunehmen, sagte Landrätin Schneider. Dies habe auch die jüngste Haushaltsdebatte im Kreistag deutlich gemacht.

Lars Burkhard Steinz, Bürgermeister der Gemeinde Heuchelheim und Sprecher der Bürgermeister des Landkreises Gießen, bekräftigt dies. „Die Mehrheit der Städte und Gemeinden hat finanziell kaum noch Luft zum Atmen.“ Steigenden Kosten für elementare Aufgaben in Bereichen wie Trinkwasser, Kanal, Straßen oder Kitabetreuung stehe eine immer weiter rückläufige öffentliche Finanzierung gegenüber. Auf Bund und Land entfielen derzeit jeweils rund 40 Prozent des Gesamtsteueraufkommens. „Der kommunale Anteil liegt bei nur etwa 15,5 Prozent. Die Kommunen übernehmen aber ein Viertel aller staatlichen Aufgaben.“

Zugleich übertrage der Bund zunehmend gesetzliche Aufgaben auf die kommunale Ebene, erklärte Landrätin Schneider. Das auf Landesebene verankerte sogenannte Konnexitätsprinzip – kurz: wer bestellt, der bezahlt – sei hier nicht gegeben. Viele Kommunen könnten selbst Pflichtaufgaben kaum noch finanzieren

Großteil für Ganztag und Kita-Ausbau wird allein gestemmt

Für den Landkreis gehört beispielsweise das Ganztagsangebot an Schulen zu den Posten, die von Land und Bund nicht in vollem Umfang ausgeglichen werden. Allein an Grundschulen des Landkreises werden für Platz und Räume in den kommenden Jahren Investitionen von gut 40 Millionen Euro nötig. Nur 6,7 Millionen Euro werden aber durch das Investitionsprogramm für den Ganztagsausbau gefördert. Auch bei sozialen Aufgaben besteht diese Situation. Für das laufende Jahr rechnet der Landkreis Gießen mit mehr als 21 Millionen Euro Kosten für Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem SGB IX. Nur 250.000 Euro stehen dem als Erstattung gegenüber.

Für die Städte und Gemeinden gehört beispielsweise die Umsetzung des Gute-Kita-Gesetzes zu den Aufgaben, die eine enorme finanzielle und personelle Herausforderung darstellen. „Hier sind Vorgaben für Zahl und Größe von Räumen sowie Personalausstattung einzuhalten. Eine Förderung durch Land oder Bund gibt es dafür aktuell nicht“, erklärte Bürgermeister Steinz. Und auch die Umsetzung des Telekommunikationsgesetzes, die eigentlich den Glasfaserausbau voranbringen soll, schafft für die Bauämter der Städte und Gemeinden einen erheblichen Mehraufwand – ohne Ausgleich.

Voraussetzung für Vertrauen in demokratische Institutionen

In der Erklärung des Gießener Landes fordern alle Unterzeichnerinnen und Unterzeichner neben der auskömmlichen Finanzierung der von Bund und Land per Gesetz übertragenen Leistungen auch einen Dialog und eine Reformierung der per Gesetz übertragenen kommunalen Aufgaben. „Es geht darum, welche Anforderungen sinnvoll, realistisch und umsetzbar sind“, erklärte Bürgermeister Steinz.

Landrätin Schneider betonte, dass die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der Kommunen eine Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie sei. „Landkreise, Städte und Gemeinden sind mit ihren Aufgaben der Daseinsvorsorge direkt im Alltag der Menschen präsent. Fehlen starke Kommunen, ist dies auch eine Gefahr für die  Teilhabe von Menschen vor Ort und ihr Vertrauen in demokratische Institutionen. Dies ist aber gerade jetzt von großer Bedeutung, um eine Spaltung der Gesellschaft auch hin zu extremen Positionen abzuwenden.“